Telefoninterview
Was waren Ihre Träume und Hoffnungen in den achtziger Jahren? Wie sahen Sie die Gesellschaft der DDR zu dieser Zeit?
Ich habe 1981 Abitur gemacht. Danach war ich bei der Armee und habe meinen Grundwehrdienst gemacht, wie es so Standard war. Danach habe ich studiert. Bis 1989 habe ich dann noch ein/eineinhalb Jahre als Ingenieur gearbeitet.
Die Vorstellung war ja nicht so ein geschlossenes Bild in Bezug auf was man so werden wollte in der Zukunft. Die Erwartung, dass sich an der Gesellschaft etwas grundlegend ändern würde, war eigentlich nicht da. Ich selbst hatte bis 1989 nicht die Vorstellung, dass sich an der Gesellschaft Grundlegendes ändern könnte (in absehbarer Zeit). Das heißt, alles was wir gemacht haben, war so auf die Hoffnung hin, dass alles irgendwie Sinn macht, dass es authentisch ist, dass es wichtig ist, dass es irgendwie einen kleinen Beitrag gibt zur Verbesserung der Verhältnisse – aber nicht in der Erwartung, dass sich irgendwas Großes ändert, sondern eher so aus dem Gefühl heraus, dass das die richtige Haltung ist. (…)
Viele haben ja gesehen, dass es so eigentlich nicht funktioniert. Aber die hauptsächliche Reaktion war ja nicht, sich um eine gesellschaftliche Veränderung zu bemühen, sondern einfach ein bisschen zu meckern. Manche Leute haben den Weg über Ausreise gesucht, der größere Teil hat sich angepasst und versucht, mit diesen Widersprüchen klarzukommen. Und es ist eine Minderheit, die darüber hinaus irgendwelche Artikulationsformen gesucht hat, um das anders zu verarbeiten. Das zieht sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche. Die Mehrheit hat zwar die Widersprüche gesehen und sich aufgeregt, hat aber trotzdem versucht, es so zu verarbeiten, dass man irgendwie damit leben kann. Es gab ja nicht die Hoffnung, dass sich etwas ändern wird.
Welche Reformbewegungen oder Gruppierungen gab es in den Jahren vor der Wende von denen Sie gehört haben? Wie haben Sie diese selbst erlebt, und (wie) waren Sie selbst involviert?
Ich war seit 1981 in der Arbeitsgruppe Umweltschutz beim Jugendpfarramt. Die Gruppe ist ganz am Anfang von Theologiestudenten gegründet worden, die durch mehrere Gemeinden gezogen sind und gesagt haben, dass sie eine Aktion „Mobil ohne Auto“ organisieren wollten. Die Aktion sollte ein Zeichen setzen für einen umweltfreundlichen Verkehr. Mehr Leute sollten mit dem Fahrrad fahren oder auf die öffentlichen Verkehrsmittel zurückgreifen. Das waren ganz andere Voraussetzungen als heute, weil damals ja viel weniger Leute Auto fuhren. Der Autoverkehr wurde damals aber als viel empfunden, vor allem wegen der vielen Abgase der einzelnen Autos. Das war damals eine der großen Belastungsquellen, mit denen man sich auseinandergesetzt hat.
Dieser Aktionstag wurde vom kirchlichen Forschungsheim Wittenberg ausgerufen und in einigen Orten und Gemeinden der DDR aufgegriffen. Ich bin dann dazugekommen, weil ich zu der Zeit ab und zu in der Gemeinde war. Ich bin da dann hängengeblieben. Was wir dort gemacht hatten, war ein Mix zwischen symbolischen Aktionen wie die Aktion „Mobil ohne Auto“ in Form einer Fahrraddemo mit einem Event am Zielort der Fahrt. Weiterhin haben wir Bildungsarbeit in den Gemeinden gemacht, und auch über kleine Publikationen informiert, über Möglichkeiten des umweltgerechten Verhaltens. Des Weiteren haben wir auch versucht, auf politischer Ebene einzuwirken, wie z.B. Eingaben schreiben oder Aktionen, die schon einen deutlicheren politischen Charakter hatten, wie die Aktion „Eine Mark für Espenhain“. Das war eine Unterschriftenaktion unter dem Deckmantel einer Spendenaktion. Espenhain war Standort eines Chemiewerks, welches Braunkohle als Grundstoff für andere chemische Stoffe genutzt hat. Das war die größte Dreckschleuder in der Region, noch schlimmer als die Kohlekraftwerke sowohl was Luft- und Wasserverschmutzung betraf. Da konnte man auf der Pleiße, dem Fluss, der durch Leipzig geht, Schaum flächendeckend sehen. Das war der Hotspot der Umweltbelastung in der Region. Da haben wir zusammen mit anderen Umweltgruppen, einmal aus dem Südraum Leipzig – dem Christlichen Umweltseminar Rötha – und dem Ökumenischen Arbeitskreis Umwelt der Dresdner Kirchenbezirke, diese Aktion „Eine Mark für Espenhain“ organisiert und immer bei Veranstaltungen gesammelt. Jede Unterschrift war die Quittung für eine Spende von einer Mark. Da sind mehrere 10.000 Unterschriften 1988/1989 zusammengekommen. Und da haben wir auch Veranstaltungen direkt zu dem Thema gemacht.
Das, was gemacht wurde, hing auch immer davon ab, wie viele Leute gerade in der Arbeitsgruppe waren und wie viel Kraft vorhanden war. Anfang der 1980er Jahre haben relativ viele mitgemacht, dann hatten wir eine Zeit (Mitte der 80er Jahre), wo es ein bisschen weniger wurde, ein personeller Umbruch stattfand. Manche, die schon von Anfang an dabei waren, hatten das Gefühl, dass man doch nichts erreichen konnte. Dann hatte es Ende der 80er Jahre wieder zugenommen und 1988/89 sind immer mehr Leute hinzugekommen und die Gruppe ist richtig groß geworden. Aber das ist eher deswegen, weil es angesteckt hat. Das hatte mehr so eine Eigendynamik. Wie zerbrechlich das System eigentlich war, haben wir auch im Sommer 1989 noch nicht geahnt.
In welcher Form hatte die Reformbewegung Einfluss auf Ihre Arbeit nach 1989, und wie beeinflusst diese Ihre Arbeit oder Engagement noch heute?
Ich hatte im Sommer 1989 für mich die Entscheidung getroffen, meinen Beruf als Ingenieur aufzugeben, da ich für mich keine langfristige Perspektive gesehen habe. Das Gefühl etwas Sinnvolles zu tun, hatte ich nicht, daher habe ich nach anderen Optionen gesucht. Mir war damals auch bewusst, wenn ich dort jetzt kündige, dann kann ich nicht einfach irgendwo anders wieder anfangen, da es die Verpflichtung gab, nach dem Studium für drei Jahre in einer Betriebsstelle zu bleiben und nicht einfach zwischendurch zu wechseln. Der Betrieb hatte mir auch gedroht, dass sie mich verklagen würden. Sie haben mir auch deutlich gemacht, dass ich nicht einfach woanders wieder anfangen kann, wenn ich hier jetzt aufhöre. Ich habe aber gesagt, dass mir das egal ist. Ich wollte etwas Vernünftiges machen und mir etwas aufbauen. Anlass dafür war auch, dass ich im August 1989 zum ersten mal Vater geworden bin.
Wir hatten dann noch mit einer befreundeten Familie die Idee, ein Bildungszentrum mit kirchlichem Kontext außerhalb von Leipzig aufzubauen und dort Seminare anzubieten. Ich war vorher, 1988/89 in einem Fortsetzungsausschuss von Frieden Konkret, das war ein Netzwerk, was einmal im Jahr diverse Veranstaltungen mit Friedens-, Umwelt- und Dritte Welt Gruppen organisierte. Da gab es einen geschäftsführenden Vorstand, und da habe ich für ein Jahr mitgemacht. Dann habe ich aber gemerkt, dass die Zeiten der Sitzungen nicht mit Rücksicht auf Vollberufstätige festgelegt wurden. Da waren auch Leute wie Ulrike Poppe und Wolfgang Schnur drin, und die hatte alle Möglichkeiten, sich zeitlich einzubringen. Ich habe mich dann im Herbst/September 1989, wo sich die ganzen neuen Bewegungen wie Neues Forum und Demokratie Jetzt gegründet und politisch organisiert haben, weiterhin auf die fachliche Arbeit im Umweltbereich konzentriert. Dabei versuchten wir, die Arbeit fachlicher und professioneller zu gestalten. Ich habe dann Anfang September mit anderen darüber gesprochen, wie man die bestehenden Umweltgruppen zusammenführen kann. Da gab es ja nicht nur kirchliche Organisationen, sondern auch Gruppen im Kulturbund; das waren die staatlichen Umweltschutzgruppen. Die waren aber nicht so stark staatlich gelenkt, sodass es da auch Leute gab, die sich in anderer Weise engagieren wollten. Wir haben dann versucht, durch einen Zusammenschluss diese Aufsplitterung in viele Gruppen zu beenden und haben den Verein Ökolöwe gegründet.
Das hat mir dann die Möglichkeit gegeben, schon beginnend im September, dann aber richtig mit der Gründung eines Vereins im November 1989, dort hauptamtlich zu arbeiten; zunächst auf Spendenbasis ohne Arbeitsvertrag.
Die Demonstrationen habe ich mitverfolgt. Bei der entscheidenden, am 9. Oktober, war ich zufällig zwei Tage zu einer Tagung beim kirchlichen Forschungsheim Wittenberg. Ich habe dann telefonisch erfahren, wie das ausgegangen ist. Hatte aber schon länger geplant, eine Woche mit meiner Familie nach Hiddensee zu fahren. Es ist so eine merkwürdige Duplizität, es wird gerade total politisch und spannend, aber gleichzeitig sind wir da gerade eine Woche draußen und haben Mühe, einen Radiosender zu empfangen. Vorher, am Wochenende vor dem 9. Oktober, haben wir noch zusammengesessen und überlegt, wie wir darauf einwirken können, dass das gewaltfrei bleiben kann. Wir haben auch einen Text verfasst, der dann vervielfältigt wurde. Es bestand ja die Gefahr, dass da eingegriffen wird. Ich war da schon ein Stück weit mittendrin, aber zufällig dann am 9. Oktober gar nicht in Leipzig. Ich bin dann eine Woche später quer durch die Demo gelaufen. Wir hatten da eine Veranstaltung in der Reformierten Kirche, die lief zeitgleich mit der Demo.
So richtig als Teilnehmer habe ich erst ab der zweiten Oktoberhälfte mitgemacht. Ich habe dann auch gespürt, dass sich die Zusammensetzung und Stimmung leicht verändert hat; wie das Bestreben, Freiheit und Demokratie zu erreichen, gemischt war mit dem Bestreben nach einer Deutschen Einheit. Meine Vorstellung und die Vorstellungen anderer Engagierten, unsere Hoffnung war, dass wir etwas aufbauen können, wo wir politische Verhältnisse selbst gestalten können; auch ausgestalten kann, im Detail über die Umweltgesetzgebung Gedanken machen können, und etwas schaffen können, was es so noch nicht gibt. Wir haben dann aber gemerkt, dass diese Gedanken nicht mehrheitsfähig waren. Die meisten gaben sich nicht nur mit der Freiheit zufrieden, sondern wollten auch den gleichen Lebensstandard wie in der Bundesrepublik und die Komplettübernahme all dessen, was es dort gab. Da wurde nichts hinterfragt oder überlegt, was man noch anders machen müsste. Es war ein Bauchgefühl: dort hat es funktioniert, wir sehen, dass es funktioniert. Irgendwelche Experimente, die hier gemacht wurden, die haben nicht funktioniert, das haben wir auch gesehen. Wir wollen keine neuen Experimente machen, daher übernehmen wir das, wo wir wissen, dass es funktioniert. So hat die Mehrheit gedacht.
Wir haben uns dann immer mit dem auseinandergesetzt, was gerade war. Wir haben uns das nicht so gewünscht. Wir haben versucht, die neuen Gegebenheiten konstruktiv zu nutzen, uns mit den neuen Strukturen auseinanderzusetzen. Ich habe in der ganzen Zeit von September 1989 an die Haltung gehabt, dass sich jetzt viele Leute um Politik kümmern, Facharbeit aber auch benötigt wird, und darum, dass nicht nur irgendwas gemacht wird, sondern auch konzeptionell um das, worüber wir uns jahrelang Gedanken gemacht haben, aufzugreifen und weiter zu entwickeln. Ich habe den Verein Ökolöwe gegründet. Das ist heute eine feste Größe in der Stadt mit circa 1500 Mitgliedern. Wir haben uns mit diesem Verein damals in den Bereichen Abfallwirtschaft, Stadtentwicklung, Verkehr oder Naturschutz an verschiedenen Punkten intensiv eingemischt. Es gab zum Beispiel in den 60er Jahren Pläne, die Straßenbahn innerstädtisch unter die Erde zu legen. So ähnlich, wie das im Westen in manchen Städten realisiert wurde. Das hat man dann 1990 aus den Schubladen rausgeholt und wir haben uns dann kritisch damit auseinandergesetzt. Das hätte viel zu viel gekostet. Wir haben es dann geschafft, dass diese Pläne fallengelassen wurden. Das war noch eine Zeit, wo man noch relativ schnell Einfluss nehmen konnte, weil die Verwaltung selbst noch relativ unerfahren und aufnahmefähig für solche Ratschläge war. Im Grundsatz waren da noch Offenheit und Gestaltungsmöglichkeit vorhanden. Es war eine sehr dankbare Aufgabe, aus einer NGO heraus mitzugestalten.
Warum finden Sie es wichtig, auch heute noch über die DDR zu reden?
Ich finde es sinnvoll, über die Zeit mit den unterschiedlichen Erfahrungen zu reden, um nicht zu einfache Bilder sich verfestigen zu lassen, die ins schwarz-weiße gehen. Da gibt es die einen, die sagen, dass ja nicht alles schlecht war. Und dann die anderen, die sagen, es gab ja die großen Helden und Revolutionäre und die große Unterdrückung und so. Die Wahrheit ist ja sehr viel differenzierter, mit Licht- und Schattenseiten und vielen Widersprüchen. Ich glaube, wenn man dazu beitragen kann, diese differenzierte Sicht zu vermitteln und sich mit dieser Widersprüchlichkeit auseinanderzusetzen, dann finde ich das reizvoll. Die Medien sind ja auch immer dankbar, wenn sie einfache Bilder und Geschichten bekommen, auch wenn sie nur einen Bruchteil der Wahrheit enthalten. Ich bin dann immer froh, wenn man das ein bisschen differenzierter erzählen kann.
Im Bereich Umwelt kann man nicht sagen, dass man von einer gewissen Praxis lernen kann, weil die unter anderen Verhältnissen entwickelt wurden. Was aber eine Grundsatzhaltung war, die auch durch die Verhältnisse bedingt war, ist die Haltung aus allem was man hat, etwas zu machen; das Beste draus zu machen. Also Material zu nutzen, was vielleicht nicht mehr den vorgegebenen Zweck erfüllt. Dinge zu reparieren solange es geht und von den gegebenen Ressourcen zu leben. Das Material anders wertzuschätzen. Die gibt es heutzutage gar nicht mehr. Junge Leute können das heute gar nicht einschätzen oder nachfühlen, dass man die heutige große Auswahl als wertvoll empfindet. Das richtige Maß zu finden ist etwas, man kann es nicht lehren, aber respektieren und den Austausch zwischen den Generationen fördern.
I find it useful to include many biographies to avoid certain assumptions that paint the GDR in black and white. You can still find people who say not everything was bad. And then you have the other side that talks about the great heroes and revolutionaries, and the oppression of the state. But of course, the truth is much more nuanced, with bright and dark sides, and with contradictions. I find it fascinating when we can contribute to a more nuanced view on the issue, and when we can grapple with these contradictions. The media surely appreciate receiving simple images and stories, even if they show only a small fraction of the truth. If I can contribute to a more differentiated view by addressing those inconsistencies, then I am pleased.
In regard to the environmental movement, I would not say you can learn from a specific practice because the circumstances in the GDR were different. However, there was a common understanding to make the best of things due to the given circumstances. We recycled material that may not have served its original purpose anymore. We repaired things as long as possible and we tried to live consciously from the given resources. Therefore, we valued the worth of material differently. Those values don’t exist anymore. Young people are unable to assess or relate to this today. They don’t know the value of having plenty of things. You can’t teach them the right measure, but you can teach them how to respect those values which encourage exchange between the generations.
Ralf Elsässer ist 1962 in Dresden geboren und studierte von 1983 bis 1988 Bauingenieurwesen an der TH Leipzig. Von 1989 bis 1995 war er geschäftsführender Mitarbeiter des ÖKOLÖWE – Umweltbund Leipzig e.V.. 1996/97 war er Mitarbeiter im EURES – Institut für regionale Studien in Europa. Seit 1996 ist er freiberuflich tätig, davon 1998–2005 im Rahmen einer GbR mit Angelika Kell (Büro Doppelspitze). Seit 2006 ist er als Einzelunternehmer als CivixX – Werkstatt für Zivilgesellschaft tätig.