Manuela Schwesig

Was waren Ihre Träume und Hoffnungen in den achtziger Jahren? Wie sahen Sie die Gesellschaft der DDR zu dieser Zeit?

Ich wurde 1974 geboren. Da stellte sich für mich in den letzten Jahren der DDR vor allem die Frage: In welchen Beruf willst du später gehen? Ich hatte damals vor, Erzieherin zu lernen. Das ist dann nach 1990 ganz anders gekommen. Ansonsten gab es natürlich den Wunsch, später eine Familie zu gründen.

Welche Reformbewegungen oder Gruppierungen gab es in den Jahren vor der Wende, von denen Sie gehört haben? Wie haben Sie diese selbst erlebt und (wie) waren Sie selbst involviert?

Ich war im Herbst 1989 15 Jahre alt. Ich kann mich nicht erinnern, schon in den Jahren davor eine Oppositionsbewegung wahrgenommen zu haben, zumal ich nicht in Berlin oder Leipzig, sondern in der kleinen Stadt Seelow aufgewachsen bin. Das änderte sich dann natürlich im Herbst 1989.

In welcher Form hatte die Reformbewegung Einfluss auf Ihre Arbeit nach 1989, und wie beeinflusst diese Ihre Arbeit oder Engagement noch heute?

Mein ganzes Leben wäre anders verlaufen, wenn nicht zunächst einige wenige sehr Mutige und dann im Herbst 1989 sehr viele Menschen für Demokratie und Freiheit demonstriert hätten. Die Friedliche Revolution hat auch mir Chancen eröffnet, die ich in der DDR nie gehabt hätte. Dafür bin ich sehr dankbar. Und natürlich liegt mir am Herzen, wofür die Demonstranten damals eingetreten sind: für Meinungs- und für Pressefreiheit, für freie Wahlen, für das Recht, eine Partei gründen zu dürfen. Das ist der Kern unserer Demokratie. Und der ist für mich absolut schützenswert.

Welche Zusammenhänge sehen Sie zwischen den damaligen Aufbruchsbewegungen und den heutigen?

Ich sehe keine Aufbruchsbewegungen, die mit denen des Herbstes 1989 vergleichbar wären.

Warum finden Sie es wichtig, auch heute noch über die DDR zu reden?

Die Geschichte der DDR, aber auch die Jahre des Umbruchs, prägen das Leben in den ostdeutschen Ländern bis heute. Sie sind Teil der Lebensgeschichte vieler Menschen, fast aller Familien. Es gab neue Möglichkeiten, neue Chancen, aber eben auch schwere Brüche. Ich habe das selbst in der eigenen Familie erlebt, als mein Vater nach der Deutschen Einheit arbeitslos wurde. Das Thema DDR spielt nach meinem Eindruck auch deshalb noch immer eine Rolle, weil es in den letzten 30 Jahren oftmals an Respekt vor ostdeutschen Lebensleistungen gefehlt hat. Da gab es viel zu viel Schwarz und Weiß und wenig tiefergehende Auseinandersetzung. Die ist noch immer nötig. Noch wichtiger als die Auseinandersetzung mit der DDR finde ich die Erinnerung an die Friedliche Revolution und die Deutsche Einheit. In der Rückschau wird deutlich, dass sich die ostdeutschen Länder seit 1990 insgesamt gut entwickelt haben. Solche Jubiläen zeigen aber auch, wo noch Defizite liegen. Und sie machen deutlich, dass Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeit sind, sondern immer wieder neu begründet werden müssen.

The (hi)story of the GDR, but also of the years around 1989, have shaped the lives in East German states until today. They are part of personal (hi)stories of many people, of almost all families. New opportunities existed, new chances, but also deep ruptures. I experienced that in my own family when my father became unemployed after German unification. In my opinion, the subject of the GDR is especially still important because, during the last thirty years, the efforts and achievements of East German citizens have not been recognized. There was too much black and white and less fundamental debates. They are still needed. More important than investigating the GDR is actually remembering the peaceful revolution and German unification. In retrospect, we can see that the East German states have developed well since 1990, but such anniversaries also show us the deficits. Anniversaries reveal that freedom and democracy are not self-evident, but must be continuously justified.

Manuela Schwesig wurde am 23. Mai 1974 in Frankfurt (Oder) geboren. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Nach dem Abitur am Gymnasium Seelow absolvierte sie von 1992 bis 1995 ein Studium an der Fachhochschule für Finanzen in Königs Wusterhausen mit dem Abschluss als Diplom-Finanzwirtin (FH). Von 1992 bis 2000 arbeitete sie im Finanzamt Frankfurt (Oder), von 2000 bis 2002 im Finanzamt Schwerin. Von 2002 bis 2008 war sie im Finanzministerium Mecklenburg-Vorpommern tätig. Von Oktober 2008 bis Oktober 2011 war Manuela Schwesig Ministerin für Soziales und Gesundheit und von Oktober 2011 bis Dezember 2013 Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Von Dezember 2013 bis Juni 2017 war sie Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Von Oktober 2011 bis Dezember 2013 gehörte sie dem Landtag von Mecklenburg-Vorpommern an. Seit Januar 2003 ist Manuela Schwesig Mitglied der SPD. Seit 2005 gehört sie dem SPD-Landes­vorstand an und ist seit November 2009 stell­vertretende Bundes­vorsitzende. 2013 übernahm sie das Amt der stell­vertretenden SPD-Landes­vorsitzenden. Im Juli 2017 wurde sie zur Vorsitzenden der SPD in Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Seit dem 4. Juli 2017 ist Manuela Schwesig Minister­präsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern.