Antifa Potsdam

Phasen der politischen Selbstorganisierung der Potsdamer Antifa-Gruppe im Wechsel zweier Herrschaftssysteme (DDR / BRD) von 1987 bis 1994

November 1987: Selbstermächtigung durch illegale Flugblattaktion

Zum Zeitpunkt der Gruppengründung im Herbst 1987 arbeiteten wir als 18/19-jährige Menschen in proletarischen Berufen der Verwaltung, Handwerk oder Gesundheitswesen und gehörten zur Punk- und Alternativszene der Bezirksstadt Potsdam.

Im Widerspruch zur schulischen Erziehung im antifaschistischen Selbstverständnis der DDR realisierten wir allenthalben rassistische Ressentiments und das Naziregime verherrlichende Sprüche während der Freizeit, in der Ausbildung und auf der Arbeit. Seit Mitte der 1980er Jahre nahm die Subkultur der Naziskins an Größe und Bedeutung zu. Es gab immer häufiger gewalttätige Angriffe gegen vermeintlich alles „Undeutsche“ und „Minderwertige“, so auch gegen Angehörige der Punkszene. Aus diesen Erfahrungen reifte spätestens nach dem Überfall von Naziskins auf das Punk-Konzert in der Ost-Berliner Zionskirche im Oktober 1987 der Entschluss, selbst zu handeln, um die Öffentlichkeit über diese gefährliche Entwicklung zu informieren und Gegenmaßnahmen einzufordern.

Flugblatt 6. November 1987, © René Borowski

Im Ergebnis fiel der Entschluss, am 6. November 1987 eine nächtliche Flugblattaktion in Potsdam durchzuführen, um den eigenen Standpunkt direkt in die Öffentlichkeit zu tragen. Diese Aktionsform erschien uns als Alternative zu dem staatlichen Informationsmonopol und stand für uns zugleich in der Tradition des antifaschistischen Widerstandskampfes in Nazi-Deutschland. Im Anschluss an diese illegale Aktion rechneten wir mit harten staatlichen Repressionen, die überraschenderweise ausblieben.

1987–1989: Politische Arbeit als Aufruf zu einem zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Engagement

Durch fortgeführte Diskussionen kam es nach vier Wochen zum Entschluss, eine Gruppe zu bilden, die sich wöchentlich einmal in kirchlichen Räumen treffen sollte. Im Dezember 1987 fand das erste Treffen mit vertrauenswürdigen Menschen aus der Punkszene statt. Weitere illegale Aktionen wurden ausgeschlossen, stattdessen sollte Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit durchgeführt werden, um das Problem „Neo-Nazis auch in der DDR“ in den öffentlichen Diskurs zu rücken.

Wir konzentrierten uns zunächst auf die Information von und die Vernetzung mit Einzelpersonen und Institutionen. Wir erhofften, durch die Sensibilisierung und Aufklärung vieler Menschen eine milieuübergreifende Gegenmobilisierung zur Abwehr neofaschistischer Gruppen zu erreichen. Als Urenkel*innen der Aufklärung glaubten wir an die Wirkung des Wortes und darauf, dass informierte Menschen ihr Wissen nutzen würden, um für humanistische Werte einzustehen. So organisierten wir beispielsweise Diskussionen, Info-Veranstaltungen in Schulen und Jugendclubs, drehten einen Kurzfilm, schrieben Briefe an Zeitungen sowie kirchliche und staatliche Institutionen, kontaktierten Schriftsteller*innen, produzierten „Gegen Nazis“ Aufnäher und veranstalteten im Juli 1989 in Potsdam einen „Antifa-Tag“ (einen DDR-weiten Kongress mit über 300 Teilnehmenden).

Diese politischen Aktivitäten kennzeichneten den Übergang von staatlich vorbestimmten und antifaschistischen Gedenkritualen zu einer konkreten antifaschistischen Praxis zur Abwehr neofaschistischer Tendenzen, was ein Novum in der DDR war.

1989: Die Antifa-Gruppe als Teil der DDR Oppositionsbewegung

Vorstellung Erlöserkirche 1988, © René Borowski

Durch die stetige politische Aktivität und Diskussion in unserer Gruppe sowie den Einfluss der erstarkenden Oppositionsbewegung, deren Teil wir wurden, erlebten wir im Verlauf des Jahres 1989 eine radikale Politisierung. Wir kritisierten zunehmend den autoritären Staat und forderten gesellschaftliche Veränderungen ein. Ein Beispiel dafür sind die Aktivitäten rund um die Kommunalwahlen am 7. Mai 1989. Am Wahltag nahmen wir als unabhängige Wahlbeobachter*innen in Wahllokalen in Berlin und Potsdam teil. Am Wahlabend waren wir auf der alternativen „Wahlparty“ in den Räumen der KVU (Kirche von Unten). Dort wurde durch eine Pressekonferenz Gegenöffentlichkeit hergestellt. In den Folgemonaten waren wir aktive Teilnehmer*innen an den Demos gegen die Wahlfälschung, wurden dort verprügelt und verhaftet.

Den endgültigen Bruch mit der DDR markierten zwei Ereignisse im Spätsommer und Herbst 1989, die zu staatlicher Repression gegen Mitglieder unserer Gruppe führten: Am 10. September 1989 versuchte die Potsdamer Antifa-Gruppe auf einer offiziellen Gedenkveranstaltung zum „Tag der Opfer des Faschismus“ in der Potsdamer Innenstadt Transparente zu entrollen, um auf die Gefahr von neofaschistischen Tendenzen in der DDR hinzuweisen. Tausende Menschen mit antifaschistischer Haltung waren dort zugegen, und die galt es zu erreichen. Unsere Aktion wurde jedoch sofort durch staatliche Ordnungskräfte und Anwesende angegriffen. Zwei der Beteiligten blieben für mehrere Wochen in Stasi-Haft unter dem Vorwurf staatsfeindlicher Hetze und Rowdytums.

Gedenken 9. November 1989, Podiumsdiskussion, © René Borowski

Der 10. September gehörte in der DDR zum offiziellen Erinnerungskanon und diente der inszenierten Selbstvergewisserung der antifaschistischen Staatsdoktrin durch Bezugnahme auf Überlebende des antifaschistischen Widerstands. Das zweite wichtige Ereignis war die Demonstration der Potsdamer Oppositionsgruppen am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR. Circa 2000 Menschen demonstrierten in der Potsdamer Fußgängerzone gegen die autoritären Verhältnisse in der DDR. Schnell zogen starke Polizeikräfte wie auch andernorts an diesem Tag auf. Die Initiator*innen entschlossen sich, die Versammlung nach Aufforderung der Polizei aufzulösen, um einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Dennoch blieben etwa 150 Menschen aus der Alternativ- und Punkszene und stellten sich den Polizeikräften entgegen. Es kam zu Auseinandersetzungen und Verhaftungen, die erneut auch Mitglieder unserer Gruppe betrafen. An den folgenden Demonstrationen und Aktionen des Herbst ’89 beteiligten wir uns als gewachsene soziale und politische Gruppe. Während der ersten Umbruchphase erhielten wir ganz selbstverständlich zwei Sitze am Potsdamer „Runden Tisch“. Nach zwei Sitzungen verließen wir diese Struktur. Unsere wesentlichen Kritikpunkte waren die Institutionalisierung der basisdemokratischen Gruppen und Prozesse sowie die nationalistischen Entwicklungen hin zur sogenannten Wiedervereinigung. Auch im lokalen Komitee zur Kontrolle und Auflösung der Staatsicherheitsorgane war die Antifa-Gruppe durch mehrere Mitglieder noch bis in den Januar 1990 hinein vertreten.

Ungeachtet der politischen Entwicklungen organisierten wir am 9. November 1989 zum Gedenken an die antisemitischen Pogrome 1938 eine Veranstaltung mit dem größten Mobilisierungsgrad, den wir je erreichten. Nach einer Gedenkveranstaltung am ehemaligen Standort der Potsdamer Synagoge fand ein Gedenkmarsch mit mehreren hundert Teilnehmer*innen zu einem städtischen Freizeitzentrum statt. Dort fand dann in Kooperation mit einem Holocaust-Überlebenden, kirchlichen und staatlichen Vertretern und den jungen Antifaschist*innen eine Podiumsveranstaltung statt. Wir thematisierten das historische Gedenken und die Warnung vor der aktuellen Gefahr durch organisierte Neonazigruppen.

Es entbehrt nicht einer tragischen Ironie der Geschichte, an diesem Tag endlich unserem Ziel einer breiten Mobilisierung der Zivilgesellschaft gegen neofaschistische Gruppen in der DDR-Gesellschaft nahe gekommen zu sein, um sogleich mit diesem Höhepunkt unseres politischen Engagements seinen Endpunkt zu erreichen. Die Grenzöffnung am gleichen Abend markierte einen Wendepunkt und das baldige Ende der Antifa-Gruppe in ihrer bisherigen Struktur und Zielsetzung. Hatten wir bis dato „nur“ von neonazistischen Tendenzen gesprochen, waren wir nun mit einer gesellschaftlichen Entwicklung konfrontiert, die das deutsche Volk und die wiedervereinte Nation in den Mittelpunkt stellte. In unserer Wahrnehmung bewahrheiteten sich unsere schlimmsten Befürchtungen hinsichtlich eines wieder erstarkenden deutschen Nationalgefühls, dessen Vorankündigung unsere Erfahrung mit rassistischen Ressentiments und sich bildenden Neonazi Gruppen gewesen waren. Die oppositionelle Bewegung, dessen Teil wir waren, wandelte sich von einem emanzipatorischen und basisdemokratischen Projekt zu einer auf Wiedervereinigung und westlichen „Wohlstand“ ausgerichteten Massenbewegung. Das führte sogar dazu, dass Gruppen von Neonazis die Montagsdemos in Leipzig im Dezember ’89 anführten.

1989–1994 Fortsetzung oppositioneller Haltung und selbstbestimmter politischer Praxis im neuen Herrschaftssystem der BRD

12. Dezember 1989, ein von Teilen der Antifa Gruppe besetztes Haus in Potsdam mit politischen Forderungen, @ Rene Borowski

Die weiteren gesellschaftlichen Entwicklungen erhielten durch die Grenzöffnung, anhaltende Ausreisen, den beginnenden Zerfall der bisherigen Politik- und Wirtschaftsstrukturen eine ungeahnte Dynamik. Die bisher von uns erkannte Gefahr durch neofaschistische und rechtsextremistische Gruppen innerhalb eines dem Namen nach „antifaschistischen“, in Wahrheit aber autoritären und repressiven Systems, wurde durch das rasante Einschwenken verschiedener, auch neuerer oder aus der BRD unterstützter Gruppen auf die schnellstmöglichste Wiederherstellung Gesamtdeutschlands überlagert. Rechtsextremistisch, neofaschistisch und rassistisch eingestellte DDR-Bürger*innen fühlten sich durch den „neu erwachten“ und vor allem lauthals verkündeten Nationalismus bestätigt und motiviert. Unsere Kritik am Beitritt zur BRD, inklusive des Hinweises auf drohende Massenentlassungen, Betriebsschließungen wurde niedergebrüllt; u. a. auf einer am 2. Dezember 1989 in Potsdam von der Sozialdemokratischen Partei und dem Neuen Forum veranstalteten Demonstration und Kundgebung.

Mit diesen grundlegenden Veränderungen der politischen Situation konfrontiert, konnten wir keine adäquate Antwort geben. Wir waren von der Geschwindigkeit, mit der die Veränderungen vonstatten gingen, überrollt. Als Jugendbewegung hatten wir gar keine umfangreiche Programmatik entwickelt, um den nationalistischen Entwicklungen hin zur Wiedervereinigung oder die Verlagerung der politischen Diskursschwerpunkte weg von ideellen Fragestellungen der basisdemokratischen Gruppen hin zu den materialistisch geprägten Positionen etwas entgegenzusetzen. Die Parolen wechselten von „Wir sind das Volk“ zu „Wir sind ein Volk“, zu „Deutschland, einig Vaterland“ oder “Kommt die D-Mark nicht zu uns, gehen wir zu ihr“.

Auch die einsetzende Institutionalisierung / Professionalisierung der DDR-Oppositionsgruppen stellte für uns eine Abkehr von der gemeinsamen Praxis dar. Einer der wichtigen Kritikpunkte an der DDR – Führung war ja genau eine „an denen da oben“, auf ihren Posten, in ihren verknöcherten Strukturen. Dass nun wieder ein ähnlich technokratisches und hierarchisches System errichten werden sollte, blieb für uns inakzeptabel.

Und in der Tat war in Potsdam recht schnell ein Wechsel ehemaliger Mitglieder der Opposition in nun bezahlte Posten der politischen Administration von Stadt- und Landesregierung zu beobachten. Ihr Wirken richtete sich dann häufig genug diametral gegen die Vorstellungen ihrer ehemaligen Verbündeten aus der früheren Bürgerbewegung.

Zudem nahmen westdeutsche Berufspolitiker*innen enormen Einfluss auf die weitere Entwicklung. Ein wesentliches Instrument dafür war die konservative Allianz für Deutschland, die im Wahlkampf zur Wahl der Volkskammer im März 1990 entstand. Zeitgleich mit der Zunahme der Einflussnahme vor allem rechter bürgerlicher Politiker aus Westdeutschland nahm der Straßenterror der Neonazis ungezügelte Ausmaße an. Eine selbstbestimmte und in ihren Grundzügen linke Alternative wurde so auf zwei Ebenen sehr wirkungsvoll angegriffen.

Wir zogen uns deshalb im Zeitraum November/Dezember 1989 aus dem weiteren „Wende“-Prozess zurück und organisierten uns innerhalb der schnell wachsenden Hausbesetzerszene in Potsdam neu. Dabei wurden die von uns bewohnten und genutzten Häuser und Projekte binnen kurzer Zeit in häufiger Wiederholung zum Angriffsziel der erstarkenden neonazistischen und rechtsextremistischen Jugendgruppen.

Selbstverständlich nahmen wir die in der Umbruchszeit gemachten Erfahrungen der politischen Opposition und des selbstständigen politischen Handelns mit in die nun folgende Phase unseres Lebens in der westlichen Konsumgesellschaft. Unsere kritische Sicht auf die Organisation der Gesellschaft wurde in dieser Zeit ganz wesentlich geprägt, und wir übertrugen diesen kritischen Blick umgehend auf die nun einziehenden kapitalistischen Verhältnisse.

Die Geschichte der DDR und ihres Untergangs aus unserer Sicht heute zu erzählen, bedeutet für uns, der herrschenden Geschichtsschreibung die Deutungshoheit über unser Leben abzuringen.

Ausschnitt aus einem Super 8 Film, der im August 1988 gedreht wurde. Grund hierfür war, dass sich die Potsdamer Antifa-Gruppe erstmal einem breiten Publikum vorstellen konnte. Es handelte sich hierbei um die evangelische Jugendwoche Ende September 1988 in der Potsdamer Erlöserkirche. Als Format zur Vorstellung wählten sie den Film als Visualisierung der eigenen damals noch sehr jungen Geschichte als Antifa-Gruppe.