Bettina Dziggel

Was waren Ihre Träume und Hoffnungen in den achtziger Jahren? Wie sahen Sie die Gesellschaft der DDR zu dieser Zeit?

Rückblickend kann ich sagen, dass ich durch meinen eingeschränkten DDR-Blick meine Zukunftsträume nie frei entfaltet habe; ich habe sehr im Moment gelebt.

Was ich aber nie wollte, war so zu leben wie meine Eltern, mein Umfeld im Dorf; volljährig sein, heiraten, Kinder bekommen, Eigenheim bauen. Ich wollte raus, mich austauschen, neue Ideen kennenlernen, Musik hören, Bücher lesen. Musik hat mir in meiner Dorfeinsamkeit dabei geholfen, Rock bzw. Orgelmusik. Meine Hoffnung war Veränderung, das war eine große Diskrepanz. Wenn ich nach Sachsen zu Besuch fuhr, erlebte ich Stagnation und somit keinen Austausch. In Berlin war ich trotz Mauer frei, da ich so lebte, wie ich wollte.

Welche Reformbewegungen oder Gruppierungen gab es in den Jahren vor der Wende, von denen Sie gehört haben?

Ich kannte viele homosexuelle Selbsthilfegruppen in der DDR, da wir von ihnen eingeladen wurden, um über unsere Arbeit in unserem Arbeitskreis zu berichten. Wir waren viele Jahre der einzige reine Lesbenarbeitskreis. Ich kannte den Arbeitskreis Frauen für den Frieden, die Umweltbibliothek in der Zionskirche in Berlin und den Friedensarbeitskreis in der Samariterkirche und Immanuelkirche in Berlin.

Wie haben Sie diese selbst erlebt, und (wie) waren Sie selbst involviert?

Wir üben Selbstverteidigung in den Räumen der Gethsemanegemeinde, Lehrerinnen, Besucherinnen aus Westberlin, circa 1983, © Bettina Dziggel

Der Schwulen- und Lesbenarbeitskreis war anderen auch suspekt, “was wollen die denn noch”. Wir waren untereinander nicht vernetzt. Das hängt natürlich auch mit den mangelnden Kommunikationsmöglichkeiten zusammen, kein Telefon, dafür Zettel und Stift an der Wohnungstür, Hauseingänge waren nicht verschlossen. Begegnungen untereinander basierten eher auf privater Ebene. Kam jemand Neues in einen der Arbeitskreise, war oft die Frage, ist die Person von der Stasi. Auch war die Zeit dafür oft nicht da. Wir hatten 14-tägig donnerstags unseren Arbeitskreis, und an den anderen Donnerstagen bereiteten wir die Abende vor.

In welcher Form hatte die Reformbewegung Einfluss auf Ihre Arbeit nach 1989, und wie beeinflusst diese Ihre Arbeit oder Engagement noch heute?

Nach 1989 änderte sich Alles so rasant, dass mir manchmal der Atem wegblieb. Ich beteiligte mich 1990 an der Wahlkarawane “Unabhängiger Frauenverband” und den “Grünen”. Wir fuhren durch die Städte und hatten einen Infostand, jedoch war die Resonanz nicht so groß, da die Bevölkerung keine Reformen wollte. “Kommt die D-Mark nicht zu mir, dann gehen wir zu ihr”, ist mir aus dieser Zeit ein bekannter Slogan. Ich wollte nicht in die Politik gehen, sondern etwas für mich tun, nochmal einen Beruf erlernen. Seit 2005 arbeite ich zunehmend als Zeitzeugin, oft im Zusammenhang mit der Dokumentation “Warum wir so gefährlich waren“.

Eine Postkarte, welche eine Frau von uns gestaltet hat. Diese wurde auf der Friedenswerkstatt gegen Spende verkauft, jetzt als Merchandise im Schwulen Museum erh¨ältlich, © Bettina Dziggel

Ich lebe im liberalen Berlin, diese Stadt hat nach der Wende viel erlebt. Ich sage immer, in Berlin kann man die Wiedervereinigung hautnah spüren. Diesen Prozess hat z.B. Sachsen nie erlebt. Fahre ich dahin, sehe ich tolle Straßen, haben wir hier nicht. Die Städte schick saniert, da der Osten zum Glück kein Geld hatte, diese abzureißen. Frage ich die Menschen vor Ort, warum es ihnen schlecht geht, bekomme ich keine Antwort, bzw. die Wessis sind an allem Schuld. Konkretisieren kann es aber niemand.

Viele erinnern sich nicht oder wollen es nicht wahrhaben, dass diese DDR wirtschaftlich ein Pleitestaat war, der den Menschen die Partizipation genommen wurde, indem Zensur bei der Bildung, Büchern, Filmen etc. gemacht wurde.

Warum finden Sie es wichtig, auch heute noch über die DDR zu reden?

Dieses Land hat immerhin 40 Jahre existiert, es hat Mauern gebaut, Menschen erschossen, Andersdenkende eingesperrt. Und dieses Land hatte eine friedliche Revolution, darauf können wir täglich stolz sein. Leider müssen uns das immer wieder Menschen sagen, welche nicht aus Deutschland kommen. Durch die jetzigen Wahlergebnisse der AfD frage ich mich, ob die Wähler der AfD dies alles vergessen haben und jetzt wieder Diktatoren hinterherbrüllen.

Lesben in der Kirche auf der Friedenswerkstatt auf dem Gelände der Erlösergemeinde 1983, © Bettina Dziggel

Die DDR war eine Diktatur und wir müssen den nachkommenden Generationen berichten, was dies bedeutet, in so einem Land zu leben; durch das Erstarken der DDR gerade im ehemaligen Ostteil Deutschlands, wo die AfD in einigen Regionen viele Stimmen erhalten hat, einen Dialog weiter zu führen. Den Menschen muss klar gemacht werden, dass sie, wenn sie z.B. Fidschis sagen und ihre aus Vietnam stammende Blumenhändlerin meinen, einen rassistischen Wortschatz gebrauchen. Aufarbeitung braucht Zeit und Geduld. Ich hatte in letzter Zeit Kontakt mit jungen Frauen, welche sich dem Thema DDR in unterschiedlichen Fragestellungen widmen. Das war für mich sehr spannend, denn sie haben mich zum Nachdenken angeregt, wie war das damals, was habe ich empfunden.

This country [the GDR] has existed no fewer than 40 years. It built walls, shot people, and imprisoned dissidents. And this country experienced a peaceful revolution, which we can be proud of each and every day. Unfortunately, people who are not from Germany have to remind us of this over and over again. The recent AfD election successes make me wonder whether people have forgotten all of this and just yearn for dictators once again.

The GDR was a dictatorship and it’s our duty to tell future generations what it actually means to live in such a country; to keep having conversations even though the GDR got stronger in the former Eastern part of Germany where the AfD received many votes in some regions. We have to make very clear to people that they use racist terms when they, e.g., call their Vietnamese florist a “Fidschi.” Coming to terms with the past takes time and patience. I recently had contact with young women who addressed the subject of the GDR from different perspectives. It was fascinating to me because it made me think about my own life in the GDR and how I experienced it.

Bettina Dziggel ist in einem Dorf in Sachsen geboren und aufgewachsen. 1981 kam sie nach Ost-Berlin und gründete dort mit Freundinnen den Arbeitskreis “Homosexuelle Selbsthilfe – Lesben in der Kirche”, in dem sie bis zum Fall der Mauer ehrenamtlich gearbeitet hat. Heute gibt Bettina Dziggel Stadtführungen über das schwul-lesbische Leben in Ostberlin. Sie lebt in Berlin.

 

You can hear more about Dziggel’s experience in the GDR in the FFBIZ archive: